Selbstverständlich ist es legitim, die Politik des israelischen Staates zu kritisieren. Und in der Tat, es gibt da durchaus einiges zu kritisieren. Die bislang amtierende Koalitionsregierung unter Benjamin Netanjahu ist – vorsichtig formuliert – rechtskonservativ mit nationalistischem Einschlag, mit allen unangenehmen und unappetitlichen Konsequenzen daraus.
Erstaunlich ist allerdings, dass ausgerechnet die deutsche Linke einen richtigen Israelfimmel hat und offenbar kein Land inbrünstiger und ausdauernder kritisiert als ausgerechnet Israel. Belgienkritik? Türkeikritik? Österreichkritik? Alles nicht die Baustellen der Deutschen, obwohl es in der Türkei und in Österreich sicher einiges zu kritisieren gäbe.
Nun geht es ja bei der so genannten Israelkritik nicht um eine allgemeine Kritik an der israelischen Politik, etwa der Wohnungs-, Sozial- oder Umweltpolitik, sondern immer nur um den Nahostkonflikt, präziser: das Handeln der israelischen Regierung gegenüber den Palästinenser*innen. Tatsächlich gibt es auch da sicher vieles zu kritisieren. Die Missachtung von UN-Resolutionen oder das häufig brutale Vorgehen gegen palästinensische Demonstrant*innen etwa lassen sich nicht einfach so vom Tisch wischen. Andererseits: es handelt sich um einen von beiden Seiten erbittert geführten Konflikt, der Israel in seiner Existenz bedroht. Wenn man den Aussagen von Hamas, Hisbollah und – mit Einschränkungen – der Fatah glauben darf, möchten diese Israel am liebsten vernichten. Und zumindest Hamas und Hisbollah untermauern ihre Aussagen glaubwürdig, z.B. mit Raketenangriffen und Selbstmordattentaten. Auch diese Handlungen verstoßen natürlich gegen UN-Resolutionen – was das israelische Handeln zwar nicht legitimiert, aber doch in einem etwas anderen Licht erscheinen lässt.
Man sieht schon: es ist kompliziert. Beide Seiten verstoßen gegen das Recht der Menschen auf ein angstfreies Leben. Dass keine der Konfliktparteien eine reine Weste hat, heißt jedoch nicht, dass alles egal und beide Seiten gleich verderbt wären. Immerhin ist Israel die einzige funktionierende Demokratie im Nahen Osten. Hat eine unabhängige Justiz. Verfolgt Kriegsverbrechen der eigenen Soldat*innen. Hat eine freie Presse, die Missstände aufdeckt. Hat zivilgesellschaftliche Organisationen, die gegen staatliche Politik mobilisieren können und dies auch tun.
Wer das alles ignoriert und einseitig nur die israelische Politik kritisiert, ist auf einem Auge blind und engagiert sich nicht etwa für einen gerechten Frieden, sondern einseitig gegen Israel. Er oder sie handelt auch nicht besonders solidarisch: Israelische Regierungskritiker*innen sind in der Lage, ihre Kritik an der eigenen Regierung ohne Unterstützung aus dem Ausland zu formulieren und zu kommunizieren. Ganz anders sieht es hingegen bei Palästinenser*innen aus, die ja vielleicht auch Kritik an ihrer Verwaltung haben. Hier, wo Solidarität aus dem Ausland wirklich angebracht wäre, bleibt sie aber leider aus.
Gerne stellen die selbst ermächtigten Israelkritiker*innen ihre Parteiname zu Gunsten der palästinensischen Anti-Israel Bewegung als solidarische Kritik unter Freund*innen dar, die nur zu Israels Bestem diene. Das ist nicht nur der Sache nach falsch: Deutsche Kritik an Israel ist quasi immer Ausdruck von Solidarität mit Palästina. Was ja durchaus legitim wäre, wenn man es ehrlich benennen würde. Es ist auch heuchlerisch und unangemessen: Deutschland und die Deutschen sind nicht die Best Friends Israels, denen die Aufgabe des kritischen Benennens unangenehmer Wahrheiten natürlicherweise zufallen würde. Noch heute müssen israelische und jüdische Einrichtungen in Deutschland polizeilich vor Deutschen geschützt werden, werden als solche erkennbare Jüd*innen oder Israelis auf deutschen Straßen beschimpft und angegriffen. Hier wäre Deutschlandkritik, nicht Israelkritik angebracht. Schon gar nicht fällt diese Rolle der BDS- und Palästina-Bewegung zu, deren Forderungen auf eine Auslöschung Israels als jüdischen Staates hinauslaufen würden.
Dass so viele israelische und jüdische Stimmen sich in der Nahostdebatte mit Kritik an der eigenen Regierung zu Wort melden, ist erfreulich und sollte deutschen Israelkritiker*innen ein Vorbild sein: nicht im Sinne von weiterer Israelschelte, sondern im Sinne des Kehrens vor der eigenen Haustüre. Wer Jüd*innen und Israelis schützen möchte, kann das in Deutschland besser und ehrlicher tun als durch Einmischung in die Politik eines doch recht kleinen und weit entfernten Landes, in dem es alles in allem gar nicht mal so schlecht läuft.
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