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Einkaufswagen-Chips, das weiß spätestens seit Möllemann ein jeder Mensch, sind das ganz große Ding in der Werbebranche. Warum also nicht angesichts des nahenden Lutherjahres (gar: der Luther-Dekade) Martin Luther in den Einkaufswagen packen? Für schlappe 5,95 offeriert der kirchenshop-online dieses wirklich praktische Shopping-Utensil.

Jeder mittelprächtig informierten KennerIn der Reformation kommt natürlich sogleich die Assoziation mit der Münze, die Luther lieber nicht in den Kasten springen sehen oder hören möchte. Diese Assoziation allerdings geht am reformatorischen Anliegen vorbei. Luther war keineswegs antikapitalistisch, hatte nichts gegen Warenwirtschaft und Verkauf zu Marktpreisen. Hätte er moderne Supermärkte gekannt, hätte er sicher auch Einkaufswagen-Chips gutgeheißen. Lediglich die Erlösung der Seele mochte Luther nicht gegen Geld gewährt wissen, und zwar vor allem deshalb, weil er keiner noch so heiligen Kirche die Verfügungsgewalt über das Reich Gottes zubilligen mochte.

Ok ist der Luther-Chip trotzdem nicht: Das Ausleihen eines Einkaufswagens im Discounter gehört mit zu den profansten Akten, die der moderne Alltag kennt. Der Versuch, diesen Akt über die Verwendung eines Bekenntnis-Chips mit religiöser Bedeutung aufzuladen ist nicht nur zum Scheitern verurteilt, sondern profanisiert den im Geldschlitz verschwindenden Luther. Letzteres allerdings hat dann doch seine Berechtigung: Luther hat die Macht der katholischen Kirche nicht gebrochen, um die evangelische(n) Kirche(n) oder gar sich selbst als neue Bewahrer und Kontrolleure des Glaubens einzusetzen. Der wahre Kern der Reformation ist die Eigenverantwortung jedeR Einzelnen für das eigene Seelenheil. Kirchen können Orientierung, aber keine letzten Wahrheiten bieten. Luthers historische Bedeutung soll sicher gewürdigt werden. Ein Kult um seine Person ist ebenso unevangelisch wie die Anbetung von Heiligenbildern.

Dieses Produkt ist daher nicht nur nutzlos, sondern wirklich kritikwürdig. Schade eigentlich, zeichnet sich der Kirchenshop doch sonst durch ein recht ansprechendes Sortiment aus und hebt sich damit wohltuend vom bizarren Gemisch aus Esoterik, "Erotik" und Glaubenskitsch ab, das der Weltbildverlag seinerzeit feilbot immer noch vertickern möchte.

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