'n Seisoen in die Paradys ist eine Art Reisetagebuch Breyten Breytenbachs, in dem er die Erlebnisse einer monatelangen Reise in seine alte Heimat Südafrika 1973 verarbeitet (»erzählt« wäre hier eine höchst falsche Vokabel; es handelt sich eher um Poesie denn um Prosa).
Dass Breytenbach ganz legal, hochoffiziell mit Visum und allem, einreisen durfte, war eine kleine Sensation – schon seit den 1960ern befand er sich in Paris im freiwilligen Exil. Als ausgesprochener Kritiker der Apartheid war er in Südafrika eigentlich nicht willkommen, die NP-Regierung sperrte andere AutorInnen schon wegen weniger ätzender Kritik als der Breytenbachs ein. Zudem reiste Breytenbach mit seiner vietnamesischstämmigen Frau – für die Apartheidsbehörden ein Fall von unerlaubter Rassenvermischung, der angesichts der konsequenten Umsetzung der Rassentrennung außerdem zu ganz praktischen Problemen führte.
»Weiße« und »Farbige« durften normalerweise nicht in denselben Eisenbahnwagen reisen, nicht in dieselben Kinos und Theater gehen, nicht in denselben Restaurants essen. Was das für Schwierigkeiten verursacht haben muss, kann man sich leicht ausmalen; muss man übrigens auch, denn Breytenbach geht in seinem Tagebuch nur am Rande darauf ein.
Was er im Detail beschreibt ist die unglaublich schöne, herausfordernde, wechselhafte, überraschende Landschaft Südafrikas. Nicht in der Manier objektiver Naturbeobachtung, sondern fast schon als stream of consciousness, im Modus des ehrlichen Überwältigt-sein, zuweilen verknüpft mit allgemeinen philosophischen Betrachtungen zur menschlichen Natur.
Natürlich kommen auch seine politischen Einstellungen deutlich zur Sprache. Sie dominieren aber nie, sind nie Thema, sondern eigentlich immer nur Randnotiz oder Erklärung zum besseren Verständnis des Landes. Zentraler könnte diese Kritik in seinem Bericht über eine Lesung an der Universität von Kapstadt gewesen sein – leider fehlt aber gerade dieser Abschnitt in meinem Exemplar des Buches fast komplett. 16 Seiten, ein ganzes Heft, fehlen, wofür 16 andere Seiten doppelt eingenäht wurden.
Ein besonders Dokument der Zeitgeschichte ist der Klappentext. Dort wird schwurbelig über die »gut artikulierten Äußérungen des politischen Rebellen« geschrieben: »Angreifbare Äußerungen, gewiss – aber noch gut begründet«; außerdem wird quasi entschuldigend hinzugefügt: »Immerzu ist man sich einer tiefen Zuneifgung zum Land und zu Afrika bewusst. Daher die Neigung zur Politik. Und die Kritik an politischen Richtungen in Südafrika geschieht aus einer Überzeugung – der intuitiven Wahrnehmung des Dichters – dass Südafrikas Lösung für seine Rassenbeziehungen falsch ist.« Tja, wenn es Kunst ist, dann kann es so ernst nicht gemeint sein. Das ist aber zum Glück nicht Breytenbach, sondern der Klappentext; und vielleicht ist war es ja ein nötiges Zugeständnis, um die Veröffentlichung des Buches in Südafrika zu ermöglichen. Jedenfalls: »Aufgrund seiner besonderen Art und seines Stils wird die Seisoen eine bereichernde Ergänzung der Afrikaansen Tagebuchliteratur sein.«
Zzum Schluss ist auf der Klappe von der »inzwischen tragisch veränderten [Situation des Autors]« die Rede. Damit gemeint ist: Dass Breytenbach noch vor der Veröffentlichung seines Buches bei einer erneuten Reise nach Südafrika, dieses mal mit falschem Pass und falschem Namen, verhaftet und anschließend zu 9 Jahren Haft verurteilt wurde.
Dieses Geschwurbel im Klappentext verdeutlicht aufs Allerschönste die besondere Rolle, die Breytenbach für die Apartheidsgesellschaft spielte. Zum einen war er ganz unzweideutig einer ihrer schlimmsten Gegner. Auch wenn der Klappentext anderes Glauben machen möchte, beschränkte er sich nicht auf vorsichtige, auch für »aufgeklärte« [verligte] AfrikaanerInnen durchaus akzeptable Kritik, möglichst nur an der konkreten Umsetzung der Apartheid. Stattdessen griff er die Apartheidsidee als solche und grundsätzlich an und sparte dabei auch nicht mit derber Sprache und ätzender Schmähkritik.
Zum anderen ist Breytenbach bis heute einer der wenigen afrikaansen Schriftsteller von Weltniveau. Und für den mit der Apartheidshideologie aufs engste verbandelten Afrikaanernationalismus hat die eigene Sprache, die »taal«, eine identitätsstiftende, fast göttliche Bedeutung, die sich auch an den Sprachdenkmälern, vor allem dem in Paarl, ablesen lässt. Und eine Sprache, die was auf sich hält, muss mit ihren ganz wenigen AutorInnen von Weltruf schonend umgehen.
Dass Breytenbach trotz seiner bekannten politischen Einstellungen legal einreisen und sogar seine Frau mitbringen durfte, dass sogar sein Tagebuch trotz des apartheidskritischen Tenors erscheinen durfte, mag sich auch so erklären. Hätte die Regierung das Buch verboten, hätte es damit der afrikaansen Literatur und Identität, letztlich ihrer eigenen geistigen Basis, einen schweren Schlag versetzt. Das ist mal ein schönes Dilemma für ein auf wankendem Fundament errichtetes Unrechtsregime.
Jedenfalls: Breytenbach ist tatsächlich ein Wortkünstler. Kostprobe gefällig? Bitteschön:
Die Sterne des Himmels sind ein eigenartiger Baum. Jeder von uns ist der Stamm dieses Baumes, und wir schauen auf die Sterne wie ein Baum auf seine eigenen Früchte schauen würde, ohne sie je verzehren zu können. Die Nacht ist die wahre Wirklichkeit. Der Tag ist gemacht für Menschen, dass es einen Anfang und ein Ende gibt, und solche Menschen leben im Irrglauben, der Himmel sei blau und leer. Das Licht verdeckt die anwesenden Sterne. Das Licht ist ein Vorhang, eine Illusion, worin sich unser "denken" abspielt. Die Nacht kennt keine Grenzen und entblößt alles. Genauso ist es mit uns. Unser Bewusstsein, das, was wir gelernt haben und gesäubert haben, wozu wir uns selbst erniedrigt und verkleinert haben, so dass wir uns darauf stützen können wie auf einen Stock, während es doch nicht Boden oder Luft oder oben oder unten gibt – unser bewusstes Zähne-Zusammenbeißen-Denken ist der Tag. Und das, was auf einmal da ist (immer da gewesen ist), wenn wir den einen Augenblick vom anderen unterscheiden, all diese Berge und Höhlen, die unser Sein bestimmen, aber die wir nie zur Kenntnis nehmen wollen oder können (weil unser gucken eine völlige Blindheit geworden ist), wo die Worte so natürlich wie Gras wachsen, wenn wir einen Gesamteindruck haben, ohne dass wir das wissen, dieses andere Denken – reich, vielfältig, grenzenlos – wenn wir uns selbst sehen wie eine Biende die Blumen – und du fällst und fällst – oder fliegst? – und sind fallen und fliegen nicht eins? das ist die Nacht. Und in jener Nacht waren die Sterne wie ein Freudenbaum mit zahllosen Flammen an jedem Ast.
("Träumen" ist eine Art
des weiter denkens
im Dunkeln")
'n Seizon in die Paradys, p. 18