Vorbemerkung 1:
Tja: Blogparade – ich habe immer noch keinen richtigen funktionierenden Blog. Man kommt ja zu nix und möchte trotzdem schreiben, weil es so schön hilft, die eigenen Gedanken zu sortieren. Und mit mehrmonatiger Verspätung kann ich diesen Artikel ganz sicher auch nicht mehr ernsthaft als Beitrag irgendeiner Blogparade verkaufen, aber: wichtig ist er mir trotzdem, und darum – tadaa – steht hier jetzt dieser Artikel. Als Allerletzter zu schreiben heißt ja auch, dass alle anderen Artikel schon da sind und verlinkt werden können: nämlich hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier.
Vorbemerkung 2:
Mein Pass teilt mir mit, ich sei Niederländer. Von meinen Großvätern war einer deutscher Nazi der andere, niederländische, mindestens Mitläufer. Ich bin in Deutschland zur Schule und zur Uni gegangen und ich arbeite jetzt als deutscher Beamter mit niederländischer Staatsbürgerschaft an einer deutschen Schule. Ich fühle mich hier ziemlich inländisch, aber: Wählen darf ich höchstens auf kommunaler Ebene. Die Faschisierung der Gesellschaft betrifft mich also genau so wie alle anderen hier Lebenden, nur dass ich bei Wahlen mit dem leben muss, was politisch so auf den Tisch bzw. an die Macht kommt.
Als Niederländer habe ich vielleicht auch einen etwas anderen Blick auf die Entwicklungen hierzulande. Deutsche gehen vielfach davon aus, sie hätten den Faschismus für sich gepachtet. Das ist gut gemeint und historisch steckt da auch einige Wahrheit drin. Aber natürlich gibt es Länder, die heute in Sachen Faschisierung erheblich weiter sind als Deutschland. Befürchtungen, die AfD könnte in ostdeutschen Ländern zur zweitstärksten oder gar stärksten Partei werden? Menschen in Ungarn oder Italien können darüber nur lachen. Und wir Niederländer:innen jetzt leider auch. Die letzten Wahlen hat die rechtsextreme »partij voor de vrijheid« von Geert Wilders als mit Abstand stärkste Kraft gewonnen. Die Bauernpartei ist in Sachen Migrationsfeindlichkeit und Leugnung des Klimawandels keinen Deut besser als die PVV und daher natürliche Koalitionspartnerin. Aber auch die wirtschaftsliberale VVD steht gerne für eine Koalition mit der fremdenfeindlichen PVV bereit, übrigens unter der Leitung einer schon qua Namen offensichtlich migrationsverwurzelten Parteichefin Yesilgöz. Und selbst der neu gegründete NSC (»nieuw sociaal contract«, neuer Sozialvertrag), der im Wahlkampf aufrichtigen und wertebasierten Konservativismus versprach, ist mit am Start. Die Koalitionär:innen rechtfertigen sich mit den erheblichen Zugeständnissen, die sie Wilders abgerungen hätten, nämlich u.a. und v.a. die Zusage, die niederländische Verfassung zu achten und daher z.b. kein Koranverbot (sic!) anzustreben. Verfassungstreue hätte ich eigentlich als Grundvoraussetzung jeder Regierung angesehen, nicht als bahnbrechenden Verhandlungserfolg.
Apropos Verfassung und damit Ortswechsel nach Deutschland: Laut Urteil des Münsteraner OVG darf der Verfassungsschutz die AfD beobachten, weil sie bzw. ein erheblicher Teil ihrer Funktionär:innen verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt. Damit sollte das Thema der aktuellen Blog-Runde eigentlich geklärt sein. Antifaschistische Politik in der Schule? Klar! Als Lehrer habe ich einen Eid auf die Verfassung geschworen, und mich zum Einsatz gegen die Feinde der Verfassung verpflichtet. Antifaschismus ist immer auch Einsatz für die Verfassung und sollte daher gerade in der Schule selbstverständliche Praxis sein. Aber Politik in der Schule? Geht das? Klar geht das, es muss sogar. »Die Jugend soll erzogen werden im Geist der Menschlichkeit, der Demokratie und der Freiheit, zur Duldsamkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen«, sagt das Schulgesetz NRW. Gut, ich soll auch »in« (?) »Liebe zu Volk und Heimat« erziehen – ein eher weniger hilfreicher Absatz, der aber im Gegensatz zum vorherigen doch recht windelweich und auslegbar und jedenfalls kein Freifahrschein für völkische Nationalist:innen ist.
Im Detail ist die Sache leider komplizierter. Mein Verhältnis zur Verfassung wurde in meiner Jugend erheblich beschädigt, als der Asylrechtparagraph 16 umgeschrieben wurde und so aus einem unbedingten, von der Verfassung garantierten Recht für alle, ein über Bundesgesetze einschränkbares Recht nach Gusto der jeweiligen Parlamentsmehrheit wurde. Man sprach damals von der »faktischen Abschaffung« des Asylrechts, und im Nachhinein muss man sagen: Das war nicht ganz unzutreffend.
Die Verfassung ist Veränderungen unterworfen. Ob diejenigen, die die Verfassung ändern möchten, als Verfassungsfeinde diffamiert werden, ist ein bisschen auch eine Frage des Framings – das im Augenblick noch zu Ungunsten der Faschist:innen z.B. in der AfD erfolgt, aber das kann sich ändern. Einmal geschworene Treue zur Verfassung ist problematisch, weil sich durch eine Verfassungsänderung die Vertragsgrundlage unerwartet drastisch verändern kann. Für Lehrer:innen in Ostdeutschland ist das eine sehr reale Überlegung. Auch im Westen ist das aber keine abstrakte Spekulation: Faschismus ist ansteckend; erodierende Verschiebungen des Sagbaren münden schon jetzt in Verfassungsänderungen, auch wenn Rechtsextreme vielleicht gar nicht direkt beteiligt sind. Bestes Beispiel ist die Aufweichung des Asylrechts in den 90ern.
Es wäre hilfreich, einerseits den Faschismus anders als durch seine bloße Verfassungsfeindlichkeit zu definieren, andererseits aber auch zu überlegen, was an der immer noch recht guten deutschen Verfassung eigentlich besonders wertvoll und daher schützenswert ist. Im Wesentlichen läuft es für mich darauf hinaus, dass die Verfassung meine Rechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit schützt, dass sie aber auch die Rechte der anderen schützt. Dass sie die Demokratie, und damit die Rechte der Mehrheit schützt, dass sie aber auch die Rechte der Minderheiten schützt.
Demokratie als System zur Durchsetzung des Mehrheitswillens ist noch relativ einfach. Eine Demokratie, die der Mehrheit zwar zu ihrem Recht verhilft, aber auch garantiert, dass die Minderheit dabei nicht überfahren wird, das ist kompliziert. Es setzt einen kontinuierlichen Dialog, ein Erkennen und Anerkennen der Situation, der Bedürfnisse und der Interessen anderer voraus. Es geht nur, wenn ein für beide Seiten tragfähiger Kompromiss gesucht wird, bei dem auch die Mehrheit zurücksteckt. Belohnt wird die Mehrheit mit einigermaßen friedlichen Verhältnissen und Stabilität – selbst dann, wenn sie einmal nicht mehr die Mehrheit sein sollte.
Faschismus lässt sich schwer definieren, aber zu den allgemein anerkannten Merkmalen gehören laut wikipedia neben Militarismus, Nationalismus und ersatzreligiösem Charakter vor allem Führerprinzip, Totalitätsanspruch, totalitär-hierarchische Wirtschafts- und Gesellschaftsorganisation. Faschismus ist somit so ziemlich das Gegenteil dessen, was ich an der deutschen Verfassung schätze. Faschismus und Demokratie im Sinne von Herrschaft der Mehrheit schließen sich keineswegs aus. Aber Faschismus und Schutz von Minderheitenrechten geht gar nicht. Faschismus ist die Ideologie des starken Mannes und der homogenen Kultur und Gesellschaft. Wer gerne anders leben, denken, reden möchte, kann ja gehen. Faschismus geht einher mit autoritärer Herrschaft, extremer Polarisierung innerhalb und außerhalb der eigenen Nation und der Unterdrückung von Minderheiten.
Wenn Faschist:innen und die AfD von Freiheit und Demokratie reden, meinen sie etwas grundlegend anderes als das Schulgesetz: Nämlich nur die eigene Freiheit, tun und lassen zu dürfen, wozu sie gerade Lust haben. Und zwar rücksichtslos, auch auf Kosten anderer. Alle anderen hingegen sollen sich den Vorstellungen der AfD anpassen. Das fängt beim Gendern an (sein lassen!), geht weiter bei Migration (sein lassen!) und endet lange noch nicht bei Versuchen, die Gesellschaft ökologisch zukunftsfest zu machen (sein lassen!). Militarismus? Ja, schon gerne – aber bitte kein Militär, auch keine Militärhilfe, zur Verteidigung gegen kriegerisch-expansive Autokratien.
Worauf es also hinausläuft: Eine faschistische Gesellschaft ist nicht nur eine Gesellschaft, die unvorteilhaft oder fehlerhaft eingerichtet ist – das ist jede Gesellschaft. Eine faschistische Gesellschaft ist vor allem eine Gesellschaft, die Verbesserungen im Sinne von echter Freiheit ausschließt, die Minderheiten alleine lässt und sogar bekämpft und in der jedes Mitgefühl für Menschen außerhalb der eigenen Blase fehlt. Das ist eine Gesellschaft, die gegen fundamentale Prinzipien des Christentums und der Menschenrechte verstößt. Grundsätzlich darf ich in der Schule keine Politik in dem Sinne machen, dass ich politische Positionen von Schüler:innen beeinflusse. Im Falle des Faschismus ist das anders. Ich darf nicht nur, ich muss sogar. Nicht einfach, weil unsere Verfassung ein paar Sätze enthält, die »verbotene« politische Positionen definiert, sondern weil ein an die Macht gekommener Faschismus die ganze Basis unseres Schulwesens untergraben und damit Schule, wie wir sie kennen, vernichten würde. Antifaschistische Politik an der Schule ist nichts anderes als ein Bekenntnis zur Schule, so wie sie von der Landesverfassung bis hinunter in Erlasse und Verwaltungsvorschriften definiert und geformt ist. Antifaschistische Politik ist nicht eine persönliche Marotte, sondern systemische Selbsterhaltung.
Die große Frage, die bleibt: Wie machen? Antworten möglicherweise in Marina Weisbands vielversprechendem Buch Neue Schule der Demokratie. Es sind Ferien, es ist an der Zeit, mal wieder ein gutes Buch über Schule zu lesen.