Ich habe mein Tablet durch ein neues Gerät ersetzt – ein Boox Note Air 4C. Und natürlich habe ich mir den größten Teil der relevanten Gedanken erst hinterher gemacht, dafür aber so gründlich, dass ich sie hier aufschreiben möchte.

Immerhin eine wichtige Frage habe ich mir vor Kauf gestellt, nämlich: Was für ein Gerät möchte ich eigentlich? Ein EBook-Reader hat üblicherweise ein E-Ink Display, weil das augenschonend ist und außerdem wenig Strom verbraucht, also eine lange Akkulaufzeit ermöglicht. Es hat außerdem einen langsamen Prozessor, weil der ebenfalls Strom spart und weil das Anzeigen von Ebooks nur sehr wenig Prozessorleistung erfordert. Ein so eingeschränktes Gerät ist dann auch mit einem stark eingeschränkten Betriebssystem gut beraten - das spart nochmals Strom, und ein vollständiges Betriebssystem würde sowieso viel zu langsam sein.

Ein Tablet folgt dagegen im Grundsatz der Maxime: Von allem so viel wie möglich, um ein möglichst gutes Gerät zu produzieren. Der Bildschirm ist zwar weniger augenfreundlich als das E-Ink Display, im Gegensatz dazu zeigt er aber Unmengen brillanter Farben in höchster Auflösung und kann die Inhalte blitzschnell wechseln. Der Prozessor ist auch so schnell wie möglich, und natürlich braucht man für das alles ein Betriebssystem, das beliebige Apps zulässt und ausführt.

Ich wollte ein Gerät, das hauptsächlich für schnelle Notizen und als EBook-Reader dienen soll, und zwar für PDFs, die es als OpenAccess häufig kostenlos gibt, außerdem für Amazon Kindle Bücher (ja, Amazon ist doof, aber es ist die beste mir bekannte Quelle für Afrikaanse Literatur, wenn man in Deutschland lebt), schließlich für aktuelle Bibelübersetzungen und möglicherweise die Onleihe meiner städtischen Bibliothek. Notizen und EBook schreien »E-Ink«, während Bibel- und Onleihe-App »Android Tablet« gegenhalten.

Das von mir gekaufte Boox Note Air ist also ein seltener Mischling: Das Display sagt: EBook-Reader, nämlich E-Ink und somit stromsparend und augenschonend. Es hat aber, besonders bei Darstellung farbiger Inhalte eine katastrophal niedrige Auflösung. Und apropos: die »Farben« spotten jeder Beschreibung, sie sind nicht nur flau, sondern eigentlich bloß farbig schattierte Grautöne. Das Betriebssystem andererseits sagt Tablet. Es ist ein »richtiges« Android, wenn auch älteren Datums, nämlich z.Zt. Android 13 mit Patches von vor etwa einem halben Jahr. Im Grundsatz kann man auf dem Gerät beliebige Android-Apps installieren. Konkret gibt es dann aber doch reichlich Einschränkungen, dazu später mehr. Und der Prozessor, der all das umsetzen soll, ist unentschieden zwischen beiden Gerätegattungen. Für ein Tablet extrem langsam, für einen E-Reader sehr schnell.

Ob das Gerät die Erwartungen erfüllt, ist eine spannende Frage, die auch nach einem halben Jahr nicht einfach zu beantworten ist. Als Gerät für schnelle Notizen und zur Anzeige von Büchern konkurriert es im Wesentlichen mit Papier. Ich bin nach wie vor ein großer Freund gedruckter Bücher: Die Anzeige ist maximal kontrastreich, die Darstellung meist spiegelfrei und man kann blitzschnell innerhalb des Textes navigieren. In all diesen Belangen hat das Boox keine Chance. Das Display ist sowieso sehr langsam, die Navigation in der Leseapp ist zusätzlich noch umständlich und kompliziert; mal eben schnell durch die Seiten blättern geht nicht. Auch der Schärfe und Kontrast sind erheblich geringer als auf echtem Papier. Der geringe Kontrast hat mich sehr überrascht, man braucht schon wirklich helles Licht, um einigermaßen komfortabel lesen zu können. Immerhin hat das Gerät eine sehr gute Hintergrundbeleuchtung, die sich in Helligkeit und Farbtemperatur anpassen lässt (aber die Einstellungen nach jeder Lesepause wieder vergisst). Und die Farben? Sie sind als solche erkennbar und können daher Informationen transportieren, aber ihre blasse Gestalt macht keine Freude.

Andererseits: Ich habe das Gerät ja nicht, um Bücher zu ersetzen, sondern um zu lesen, was ich aus unterschiedlichen Gründen nicht auf Papier kaufen kann oder möchte. Und da macht das Boox gar nicht so eine schlechte Figur. Alles ist lesbar, es spart Platz im Bücherregal und weil die meisten Apps auf dem Gerät keine Freude machen, ist vieles erst gar nicht installiert und lenkt daher auch nicht ab.

Im Vergleich zu anderen Geräten ist eine große Stärke des Boox das offene Android, das die Installation beliebiger Leseapps erlaubt. Die deutliche Schwäche des eingebauten Boox-Buchladens wird dadurch mehr als kompensiert. Das Gerät hat ein leicht zugängliches Dateisystem mit einem vernünftigen Dateibrowser und ist damit vielen Tablets überlegen. Es kann zudem einen eingebauten Server starten, der den Datenaustausch mit im selben (W)LAN angemeldeten Geräten zum Kinderspiel macht. Das ist dramatisch besser als z.B. das Remarkable, das entweder eine USB-Verbindung oder die kostenpflichtige Herstellercloud benötigt.

Beim Thema Notizen war ich anfangs sehr enttäuscht. Die gute Nachricht direkt am Anfang: rein haptisch ist das Schreibgefühl optimal. Auf der angerauhten und entspiegelten Boox-Oberfläche fühlt sich das Schreiben an wie Filzstift-auf-Papier. Nach überschaubarer Eingewöhnung kann ich so gut uns leserlich schreiben (wenigstens nicht schlechter als mit echten Stiften). Allerdings reagiert der Stift mit einer deutlichen Verzögerung, was präzises Schreiben und Zeichnen sehr erschwert. Auch die 70€, die ich für den ProPen ausgegeben habe, waren es vermutlich nicht wert. Im Vergleich zum mitgelieferten Stift dient die Rückseite des ProPen als Radiergummi. Das ist gewiss ein nützliches Extra, allerdings habe ich bei den Kratzern auf dem Display die Vermutung, sie könnten vom Radieren mit der harten Rückseite des Stifts stammen. Zudem ist der Stift insgesamt klapprig und schützt die Spitze mit einer losen aufgesteckten Gummikappe, die bereits nach wenigen Wochen in den Tiefen meiner Taschen verloren ging.

Ein weiteres Problem: Es gibt offenbar ein Problem mit der Speicherung markierter PDFs im eingebauten Reader: Wenn ich dort den Textmarker verwende, erhalte ich brauchbare Ergebnisse. Wenn ich dann vor- und wieder zurückblättere, die Markierung also offenbar gespeichert wird, verändert sich die Darstellung merklich. Die Markerfarbe legt sich über den Text und beeinträchtigt die Lesbarkeit deutlich. Gerade bei markierten Textstellen möchte man das nicht haben.

Immerhin kann man in PDFs markieren - das ist mehr als die Kindle-App zulässt. Für die Notizapp gilt Ähnliches: Im Grunde funktioniert alles, aber die Umsetzung ist erheblich schlechter als ich sie von GoodNotes auf dem iPad kenne. Trotzdem ist das Boox dem Papierbuch aber meilenweit voraus, weil Buch und Notizblock auf demselben Gerät liegen. Während man ein Buch liest, kann man sich jederzeit auf dem gleichen Gerät Notizen machen, die auch immer vollständig beisammen bleiben. Das ist wirklich hilfreich; ich neige sonst sehr dazu, die Notizen »irgendwo« zu machen (wenn überhaupt) und sie dann zu verlegen oder zu verlieren.

Naheliegend wäre jetzt natürlich, eine andere App für PDFs und Notizen zu nutzen, das scheitert aber aus unterschiedlichen Gründen. Es gibt Notiz- und PDF-Apps, die sich erst gar nicht installieren bzw. starten lassen. GoodNotes z.B. und es gibt Apps, die mit der Kombi Stift/Display Schwierigkeiten haben und Zeichnungen nicht korrekt anzeigen, OneNote z.B. und dann gibt es noch jede Menge Apps, die nur in der Cloud und mit zusätzlichem Konto funktionieren, Lumin z.B. Ich habe einen ganzen Abend im Google AppStore zugebracht und habe tatsächlich keine einzige Notizapp oder PDF-Reader gefunden, die mir gefallen hat.

Somit bleibt als Fazit: Papier aus toten Bäumen ist mir nach wie vor lieber als Papier aus Elektronen. Wenn es aber EPaper sein muss, ist das Boox ein gutes Gerät, das deutliche Schwächen, aber eben auch deutliche Vorteile hat. Schade, dass immer ein Gefühl bleibt, man hätte Soft- und Hardware auch noch besser machen können.

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