Cas, die Hauptperson in Kiefts Roman De Onvolmaakten, lebt in einer mehrfach dystopischen Welt. Da ist einerseits die alleswissende KI, die direkt in die menschlichen Sinnesorgane eingespeist wird und die Rolle eines beratenden großen Bruders oder besten Freundes einnimmt. Da ist aber andererseits auch eine nur angedeutete ökologische und ökonomische Katastrophe. Der Großteil der Menschen scheint mehr schlecht als recht zu überleben und Quatschjobs verschiedenster Art zu übernehmen. Ein irgendwie noch funktionaler Staat versorgt aber auch sie mit allem, was man zum Leben wirklich benötigt, außerdem noch die eine oder andere Annehmlichkeit und, natürlich, den Zugang zur KI.
In der Folge einer Lebenskrise wird Cas immer unzufriedener – nicht mit sich selbst, sondern vor allem mit der KI, die in bester mütterlicher Manier lauter gute Tipps von sich gibt, wie Cas sein Leben endlich wieder in den Griff kriegen kann. Cas möchte sich aber nicht bemuttern lassen, sondern sucht immer mehr die Nähe zu einer kleinen Gruppe von »Unvollendeten« oder »Unperfekten« , eben den titelgebenden Onvolmaakten. Er sucht das Abenteuer, als da wären: Echter Käse, echtes Fleisch, Alkohol und weitere Drogen, riskante Mutproben und echte Verletzungen. Schließlich, es kommt wie es kommen muss, trennt er sich komplett von seiner KI, deaktiviert das intelligente Gerät und verschwindet für die Autoritäten und die Leser*innen von der Bildfläche.
Im Unterschied zum oberflächlich ähnlichen Circle von Dave Eggers ist die Dystopie in De Onvolmaakten nicht ganz so leicht zu fassen. Klar, da ist die ökonomisch-ökologische Komponente, die aber eben nur angedeutet wird. Und dann gibt es die alles umfassende KI, ganz ähnlich wie in The Circle. Allerdings gibt es auch Unterschiede. Es beginnt schon damit, dass die KI in De Onvolmaakten offensichtlich nicht von einer gewinnorientierten Firma, sondern von einer dem Gemeinwohl verpflichteten Obrigkeit kontrolliert wird. Folglich ist sie auch nicht bestrebt, die Nutzer*innen zu seelenlosen Konsummonstern zu erziehen, sondern müht sich redlich, ein Sozialleben im Real Life zu stimulieren und die in virtuellen Realitäten verbrachte Zeit möglichst einzudämmen. Die weiteren Ratschläge der KI und die Verbote der Obrigkeit – wir erinnern uns: kein Fleisch, kein Käse, kein Alkohol, außerdem: grotesk kleine Wohnungen aus Schrottmaterialien und e-Bikes statt Autos – sind auch allesamt sehr gut nachvollziehbar, dafür sind die Andeutungen der ökonomisch-ökologischen Verwerfungen deutlich genug.
Ein finaler Punkt schließlich: In De Onvolmaakten gibt es durchaus so etwas wie einen wirksamen Datenschutz. Die Erzählung hat, wie sich nach und nach herausstellt, die Form eines Gesprächs zwischen der KI und einem Aufsichtsgremium, das erst nach dem Verschwinden von Cas geführt wird. Weil: der Datenschutz verbietet es, bzw.: die Obrigkeit möchte um jeden Preis das Vertrauen der Bevölkerung in die KI wahren. Daher ist eine live-Kommunikation der KI mit den Behörden nicht vorgesehen.
Erst ganz am Ende des Romans, quasi als Nachgedanke, fällt der Beschluss, diese Regel künftig fallenzulassen und so die Wahrnehmungen der KIs zu nutzen, um den nicht registrierten Onvolmaakten, denen Cas sich mittlerweile angeschlossen hat, ausfindig zu machen.