Das Buch der Königstöchter ist der zweite Teil von Theweleits auf vier Bände angelegter Pocahontas-Reihe.
Es widmet sich zwei wesentlichen Schwerpunkten, nämlich einerseits den mit der griechischen Landnahme verknüpften Mythen um Götter und Königstöchter sowie ihren Heroen-Söhnen, allen voran Medea, der Kinder es allerdings gar nicht erst bis zum Heldenstatus bringen. Und andererseits der realhistorisch, aber mythologisch überformten Figur der Malinche, die bei der Eroberung Mexicos durch Cortés geschätzte und wirksame Hilfe des Conquistadors war.
Aber vorher noch... nee: keine Werbung, sondern: eine Art Nachtrag zum ersten Band, der sich primär mit der für die Reihe titelgebenden Nordamerikanischen Königstochter Pocahontas befasst. Theweleit hat nämlich offenbar noch nach Erscheinen dieses ersten Bandes eine weitere spannende Quelle hierzu ausgegraben: Eine Verschriftlichung der Oral History zu Pocahontas durch eine Angehörige ihres Stammes. Diese Quellen belegen im Wesentlichen das, was man (und Theweleit) schon vorher für wahrscheinlich gehalten hatten und auch Theweleit selber gibt zu bedenken, dass sie natürlich kritisch gesehen werden müssen und abgesehen von möglichen Veränderungen der Erzählungen über die Jahrhunderte auch ein EIgeninteresse an einer möglichst vorteilhaften Darstellung der Geschichte eine Rolle spielen könnten. Wirklich wichtig sind die Quellen aber ohnehin nicht, weil Theweleit ja nicht primär über historische Fakten, sondern über den kulturellen und politischen Umgang mit ihnen, über ihre zweckmäßige Mythologisierung schreibt. Und da liegen die Fakten einigermaßen klar auf dem Tisch der Kulturindustrie.
Der Nachtrag ist so oder so ein guter Einstieg in den zweiten Band, der sich wie gesagt zunächst mit den griechischen Mythen befasst, die eine Legitimität der antiken Landnahme durch die später als Griechen bekannt gewordenen Einwanderer*innen aus sexuellen Verbindungen zwischen griechischen Göttern und den Töchtern lokaler Herrscher herleiten. Die Kinder aus diesen Verbindungen gehen regelmäßig als Heroen und Halbgötter in die örtlichen Legenden ein, bzw.: die bereits bestehenden vor-griechischen Heldenfiguren werden durch überformende Erzählungen zu ihrer göttlichen Herkunft von den Einwanderer*innen quasi vereinnahmt und genealogisch umgepolt.
Das ist so ziemlich das Gegenteil dessen, was mit Pocahontas der Fall war: Sie hatte zwar einen Sohn mit ihrem englischen Ehemann Rolfe, allerdings spielt der in der weiteren Geschichte der Kolonie keine nennenswerte Rolle. Der Umgang der Engländer*innen mit den eingeborenen Amerikaner*innen reduzierte sich überwiegend auf Bekämpfung und Vernichtung.
Noch mal anders dann in Mexico, wo die (angebliche) Königstochter Malinche als Übersetzerin mehrerer mexikanischer Sprachen, aber möglicherweise mehr noch der mexikanischen Kultur und Denkweise die Eroberung eines so großen Landes durch eine so kleine Armee überhaupt erst möglich machte. Malinche heiratete recht vorteilhaft, anders als bei Pocahontas wurden ihre Kinder und die von vielen weiteren in die spanische Führungsschicht verheirateten Mexicaner*innen aber nicht nur legitimiert, sondern spielten teilweise auch bedeutende Rollen in der späteren Entwicklung des Landes. Das Resultat dieses völlig anderen Vorgehens lässt sich heute leicht beobachten – im Gegensatz zu den USA haben die meisten Länder Lateinamerikas eine echte Mischbevölkerung.
Auch für diesen Band gilt: Man wird vieles, was Theweleit schreibt, sicher auch anders sehen können. Er ist nicht sehr systematisch, stellt dafür aber sehr viele Bezüge und Parallelen her. Das Allermindeste, was man ihm attestieren muss, ist eine spannende Tour durch griechische Mythologie und mexicanische Geschichte, die viele Informationshäppchen, aber noch viel mehr Anlässe zum Nach- und Weiterdenken bietet.