Es hagelt mal wieder schlechte Meldungen rund um die NRW-Schulplattform »Logineo«. »Digitales Desaster« titelt »news4teachers«, und in vielen Kollegien wird schon kolportiert, man müsse jetzt, wo das Ende sicher bevorstehe, wohl oder übel zu Microsoft365 wechseln.
Die Wahrheit ist natürlich etwas komplexer, und zwar wie folgt:
Tatsächliche, harte Nachrichtenlage ist nur, dass die Telekomtochter »T-Systems« einen Vertrag zur Weiterentwicklung und zum künftigen Hosting von Teilen von Logineo zurückgegeben hat. Der laufende Betrieb ist also nicht betroffen, für die Zukunft wird man allerdings einen neuen Partner suchen müssen. Oder eben aufgeben.
Die Option »aufgeben« wird von interessierter Seite mit Macht herbeigeschrieben, und zwar im Wesentlichen mit dem Argument, Logineo sei eine im Hinterkämmerchen des MSB praxisfern zusammengefrickelte Bastellösung, die für den professionellen Einsatz in der Schule nicht ansatzweise geeignet sei.
In der Tat war möglicherweise der Kardinalfehler des MSB, der Dreifaltigkeit der Logineen einen gemeinsamen und neuen Namen zu geben und damit die Erwartung zu wecken, es handele sich a) um ein einheitliches Ganzes, das noch dazu b) eigens für NRW entwickelt worden sei. In Wahrheit besteht »Logineo« nach wie vor aus drei unverbundenen Einzelsystemen, die aber je für sich erprobte und bewährte Standardsoftware darstellen, und zwar »SoGo« (»Logineo«; Mail; Kalender, Cloud), »Moodle« (»Logineo LMS«; Lernmanagementsystem) sowie »Matrix« und »Jitsi« (»Logineo Messenger«; Messenger mit Videokonferenzsystem). Alle drei Systeme sind OpenSource und daher auf eigene Bedürfnisse anpassbar.
Genau das hat das MSB gemacht, meines Erachtens ein wenig zu radikal. Den Cloudspeicher kann man problemlos in den lokalen Dateimanager einbinden, so dass der Zugriff so einfach wie der auf die eigene Festplatte ist – aber das MSB hat diese Option für die Verwaltungscloud aus Datenschutzgründen deaktiviert. Mailweiterleitungen sind technisch kein Problem – aber, ebenfalls aus Datenschutzgründen, unterbunden. Informationen, welche Schüler*innen wann welche Aufgaben bearbeitet haben, hält Standard-Moodle bereit. Logineo LMS hüllt hierüber den Schleier des Datenschutzes. Zudem ist der Speicherplatz für Mail und Cloudspeicher arg knapp bemessen – das spart Geld, schürt aber Unmut bei den Nutzer*innen.
Alles in allem hat Logineo also nicht viele Freund*innen und gilt nicht gerade als hip und sexy. Und im Netz wird munter Stimmung gegen Logineo, und explizit, z.B. durch news4teachers, für Microsoft gemacht. Das Interesse von Microsoft ist klar: Die Digitalisierung der Bildung ist ein Milliardenmarkt, außerdem hat beste Chancen auf dem Büromarkt, wer die Jugend schon in der Schule an das eigene Produkt bindet. Kein Wunder, dass Microsoft mit gigantischen Investitionen und neuerdings einer »Skilling-Offensive für KI« ganz speziell nur für NRW lockt.
Trotzdem liegt das Angebot sehr eindeutig nicht im Interesse der Schulen und Schüler*innen in NRW.
Zunächst einmal wären da die sattsam bekannten Datenschutzprobleme mit Microsoft. Die Datenschutzkonferenz ist nach einem sehr langen, mutmaßlich von Angst vor eindeutigen Ansagen geprägten, Prozess 2022 zum Ergebnis gekommen, dass ein datenschutzkonformer Betrieb von M365 theoretisch vielleicht möglich, von Schulen in der Praxis aber kaum zu bewerkstelligen sei. Die Datenschutzbeauftragte für NRW sah das schon damals deutlich kritischer. Seither hat die Regierung Trump in der Praxis gezeigt, dass sie gewillt und in der Lage ist, den Zugang zu M365 für nicht-genehme Institutionen einfach so abschalten zu lassen (so neulich beim Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in den Haag). Sie verlangt auch schon heute in verschiedenen Fällen die Offenlegung von Social-Mediakonten bei der Einreise in die USA. Ein Schulaufsatz »On US gun laws« oder »diversity and gender« in der M365-Cloud wird da schon sehr konkret gruselig, wenn vielleicht ein USA-Schüler*innenaustausch oder später ein Gastsemester in den USA geplant ist.
Natürlich spielen auch Kosten eine Rolle. M365 gibt es zwar auch in kostenlos, dann aber in der schlechtesten denkbaren Fassung, insbesondere was den Datenschutz betrifft. Logineo kostet z.Zt. unter 40 Millionen Euro jährlich – viel Geld, aber dafür lassen sich Office365 Lizenzen für gerade einmal 155.00 Nutzer*innen beschaffen (sagt perplexity.ai, wenn man nicht bei Microsoft hostet). Das reicht noch nicht einmal für alle 200.00 Lehrer*innen in NRW, von den Schüler*innen ganz zu schweigen.
Zugegeben, diese Zahl ist sehr unsicher. Sie verdeutlicht aber ein grundlegendes Problem mit M365: Es scheint auf den ersten Blick preiswert und leistungsfähig – wenn man jedoch eine halbwegs datenschutzkonforme Variante benötigt, also eine, die auf eigenen Servern des MSB (oder eines vom MSB beauftragten Dienstleisters) läuft, wird es sofort sehr teuer. Und wenn man sich erst einmal vom Produkt abhängig gemacht hat, steht weiteren Kostensteigerungen wenig im Wege; das mussten 2022/23 alle Schulen erfahren, die sich von Apples iPads abhängig gemacht hatten (inzwischen ist allerdings wieder ein günstigeres Modell erhältlich). Zudem kann die amerikanische Regierung durch Blockade von Updates mittelfristig eine Abschaltung des Produkts erzwingen. Unwahrscheinlich? Vermutlich ja. Ein Blick nach Dänemark und Kanada lehrt aber, dass man sich im Umgang mit den USA auch mit unwahrscheinlichen Szenarien befassen sollte.
Vor allem aber geht es hier um die Frage der digitalen Souveränität. Wer sich von M365 abhängig macht, ist in ganz banaler Weise nicht souverän und muss auf Dauer die von Microsoft und ggf. der US-Regierung diktierten Preise und Nutzungsbedingungen akzeptieren. Das ist bei OpenSource Produkten wie Moodle, SoGo und Matrix anders: Die Systeme können dauerhaft ohne Lizenzgebühren und ohne rechtliche Einschränkungen genutzt werden.
Selbst ein abgesprungener Partner wie T-Systems ist zwar ärgerlich, aber kein Weltuntergang: Weil die Rechte für die Software nicht beim Partner liegen, kann das MSB einen neuen Partner suchen und die Software einstweilen einfach weiterbetreiben.
Digitale Souveränität hat aber noch grundlegendere Dimensionen: Software, auch ein Lernmanagementsystem, ist ein Werkzeug. Zwar ist ein Werkzeug frei einsetzbar, jedoch sind die Möglichkeiten nicht beliebig. Die Gestaltung eines Werkzeuges legen einige Nutzungsmöglichkeiten nahe, während sie andere eher entmutigen oder gar ausschließen. Für einen Menschen, der einen Hammer hat, ist die ganze Welt voller Nägel, heißt es sehr schön.
M365 ist zunächst eine Software, die für die Nutzung im Büro entwickelt wurde. Pädagogische oder didaktische Entscheidungen haben bei der Entwicklung mutmaßlich keine Rolle gespielt, die Firma Microsoft ist auch nicht dafür bekannt, dass sie auf diesem Gebiet irgendwelche Kompetenzen oder Ambitionen hätte.
Microsofts Interesse an der Sammlung und späteren Auswertung von Nutzer*innendaten hat bei der Programmierung von M365 sicher eine Rolle gespielt. Vielleicht lässt sich die Datensammelei durch geschickte Konfiguration halbwegs in den Griff bekommen, dadurch wird das Programm aber ganz bestimmt nicht zu einem von Grund auf datenschutzfreundlichem System.
Bei Logineo LMS hat das MSB Änderungen an der Software durchgesetzt, die ich für z.T. übertrieben und kontraproduktiv halte. Aber es sind Änderungen, die politisch gewollt, begründet und legitimiert waren. Es sind Entscheidungen, für die eine Instanz verantwortlich zeichnet, und die ggf. auch revidiert werden können. Logineo ist ein System, das vom MSB nach bestem Wissen und Gewissen auf die konkreten Bedürfnisse der Schulen in NRW ausgewählt, angepasst, und weiterentwickelt wurde. All das ist M365 nicht. M365 ist ein Produkt, das für die Bedürfnisse der Schulen eines kleinen Bundeslandes in einem mittelgroßen Staat der EU sicher nicht umgeschrieben werden wird. Es ist auch ein Produkt, von dem man nicht weiß, was der Hersteller für die Zukunft plant.
Ein Lernmanagementsystem und auch M365, ist eine Plattform, also eine digitale Infrastruktur. Wer die Plattform beherrscht, entscheidet, welche anderen Dienste an die Plattform andocken können. Wollen wir, dass Microsoft entscheidet, wer rein darf und wer draußen bleiben muss? Sollen Schulbuchverlage künftig vom Wohlwollen Microsofts abhängig sein, damit ihre Inhalte den Weg auf die Plattform finden? Und wie sieht es aus mit Angeboten des Landes oder der kommunalen Medienzentren, die in Logineo integriert sind, bei M365 aber einen schweren Stand haben dürfte?
Politik dreht sich um die Gestaltung unserer Gesellschaft. Souveränität ist nichts anderes als die dafür erforderliche Gestaltungsmacht. Schulen, die auf M365 setzen, treffen möglicherweise zunächst eine souveräne Entscheidung. In der Folge gestaltet aber die Plattform die Schule. Die Möglichkeiten, die Widerstände, die Strukturen der Plattform bestimmen, was an der Schule möglich und was schwierig ist, wie Arbeitsabläufe organisiert und strukturiert werden. Die Souveränität über die Gestaltung von Schule geht über auf eine Firma, die in keiner Weise an die schulpolitischen Bedingungen, Setzungen und Ziele in NRW gebunden ist.
Logineo ist nicht sexy. Logineo ist auch nicht umsonst – aber Logineo ist erheblich preiswerter, als ein datenschutzkonform nutzbares M365 es auf die Dauer sein wird. Am allerwichtigsten aber: Logineo ist das Instrument, mit dem das MSB das tun kann, was seine ureigenste Aufgabe ist: Schule in NRW nach demokratisch verhandelten Ideen zu gestalten. DAS sollte es uns wert sein.