Lehrer*innen sind überlastet. Darunter leidet sowohl ihre eigene Zufriedenheit und damit letztlich ihre Gesundheit, als auch die Qualität des Unterrichts. Wie aber Abhilfe schaffen? Die Schulministerien in Deutschland bedienen sich des so genannten Deputatsmodells, das eine bestimmte Anzahl an wöchentlich zu unterrichtenden Stunden (am Gymnasium in NRW: 25,5) plus sämtliche weiteren Verpflichtungen (z.B. Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, Korrekturen, Konferenzen, Beratung, Betreuung, Begleitung, ...) zusammen als eine Vollzeitstelle mit (z.Zt.) 41 Wochenstunden definiert. Es handelt sich hier wirklich um eine Setzung, nicht etwa um eine empirisch ermittelte Gleichung oder ein wenigstens durch theoretische Überlegungen und Berechnungen untermauertes Konstrukt.

Arbeitszeituntersuchungen der Gewerkschaften und Verbände belegen seit langem schon, dass die durchschnittliche Arbeitszeit ca. 10 - 15 % über der gesetzlichen Norm von 41 Wochenstunden im Jahresschnitt liegt. Das verhilft aber den Lehrkräften nicht zu weniger Belastung oder mehr Geld, weil jede Lehrkraft immer ein Einzelfall und nicht ein statistischer Durchschnitt ist. Was helfen würde, wäre eine präzise Erfassung der tatsächlichen Arbeitszeit. Und genau diese Arbeitszeiterfassung ist eigentlich auch gesetzlich vorgeschrieben – allein die Schulministerien der Länder schieben die Einführung auf die lange Bank, weil sie sich angesichts der zahlreichen Untersuchungen ausrechnen können, dass eine passgenaue Bezahlung der tatsächlich geleisteten Arbeit sie teuer zu stehen käme.

Arbeitszeiterfassung durch die Hintertür eingeführt

Ein Urteil aus Niedersachsen öffnet jetzt ein Türchen für eine Arbeitszeiterfassung am Ministerium vorbei: Ein mittlerweile pensionierter Grundschulrektor hatte an einer GEW-Arbeitszeitstudie teilgenommen und anschließend auf nachträgliche Vergütung der in diesem Rahmen dokumentierten Überstunden geklagt. Das Gericht gab ihm im wesentlichen Recht und sprach dem Lehrer 31.000 € zu. Spannend ist vor allem, dass das Gericht die Selbsterfassung der Arbeitszeit durch die Lehrkraft als gültig anerkannte – damit hätten auch weitere Lehrer*innen die Chance, ihre Arbeitszeit sofort individuell zu erfassen und Überstunden ggf. vergüten zu lassen, selbst wenn das Ministerium eine Arbeitszeiterfassung verweigert. Spannend ist weiterhin, dass das Gericht zwar ca. Ein Drittel der »Zuvielarbeit« (so in seiner Pressemitteilung) auf »Organisationsdefizite oder ein überobligatorisches Engagement der Lehrkräfte« zurückführt, den größeren Rest aber als Grundlage für Besoldungsnachforderungen akzeptiert. Mit entscheidend für den Erfolg war, dass das niedersächsische Schulministerium die Methodik und damit die Ergebnisse der Studie als »valide« bezeichnet hatte.

Das Urteil ist rechtsgültig, eine Revision nicht zugelassen. Allerdings laufen noch weitere Verfahren, in denen die Kläger*innen keine Rektor*innen sind; möglicherweise bewerten die Gerichte in diesen Fällen anders, was zu vergütende »Zuvielarbeit« und was »überobligatorisches Engagement« (sprich: Privatvergnügen der Lehrkraft) ist. Außerdem gilt dieses Urteil nur für Niedersachsen – aber in NRW sind die Verhältnisse und Probleme grundsätzlich dieselben, man darf hoffen, dass NRW-Gerichte bei ähnlichen Klagen ähnlich entscheiden würden.

Eigene Erfassung mit App – welche, warum?

Es ist also sicher eine gute Idee, die individuelle Arbeitszeit zu erfassen. Allerspätestens seit dem Urteil aus Niedersachsen ist klar, dass das möglich ist – es war eigentlich schon vorher klar, weil in einer Vielzahl von Firmen und übrigens auch Ministerien die Selbsterfassung der Arbeitszeit über Stundenzettel, Excel-Tabellen oder Apps gang und gäbe ist. Am einfachsten ist sicher die Nutzung einer App auf dem Dienstgerät oder dem privaten Smartphone. Solange die Arbeitszeiterfassung freiwillig erfolgt, ist die Nutzung des Privathandys kein Problem, weil nur eigene Daten erfasst werden.

Ich habe drei verschiedene Apps probiert. Zwei der Apps (die ich jetzt namentlich nicht mehr nennen kann), waren zu kompliziert in der Einrichtung, weil sie mehr auf Freiberufler*innen ausgerichtet waren, die z.T. für verschiedene Projekte verschiedene Stundensätze abrechnen. Misstrauisch machte auch, dass die Daten auf den Servern des Anbieters gespeichert wurden – das ist für eine große Firma sicher interessant, für Einzelnutzer*innen aber vor allem ein potenzielles Datenschutzproblem, das überdies erhöhte Ladezeiten und Ausfallwahrscheinlichkeiten mit sich bringt.

Geblieben bin ich bei Simple Time Tracker: Eine opensource Software, die kostenlos und werbefrei erhältlich ist und Daten ausschließlich auf dem eigenen Gerät speichert; sie bietet außerdem so genannte Widgets für den Homescreen; das sind letztlich ein oder mehrere Knöpfe, mit denen man unterschiedliche Kategorien von Arbeit starten und beenden kann, ohne die App explizit aufrufen zu müssen. Einziger Wermutstropfen: Diese App ist ausschließlich für Android verfügbar, iOS-Nutzer*innen müssen sich anderweitig umsehen.

Herausforderungen?

Bevor man die App produktiv nutzt, sollte man sich Gedanken dazu machen, was man überhaupt erfassen möchte: Einfach nur die Arbeitszeit, oder sollen evt. verschiedene Kategorien von Arbeit (Vorbereitung/Unterricht/Korrektur/...) getrennt erfasst werden? Den Dienstherrn geht das zunächst mal nichts an, aber wir erfassen ja für uns selbst, und da kann eine getrennte Erfassung möglicherweise spannende Erkenntnisse darüber liefern, wo genau unsere Zeit bleibt oder wie aufwändig beispielsweise Verwaltung und Dokumentation tatsächlich sind. Dadurch, dass man über die Widgets nur einen Klick braucht, um eine Aktivität zu starten bzw. zu beenden, kann man recht flott von einer Kategorie zur nächsten wechseln. Wenn man in den Einstellungen die Funktion »Multitasking erlauben« deaktiviert, wird beim Starten einer neuen Aktivität eine evt. bereits laufende andere Aktivität automatisch beendet. Was ich nächstes Mal anders machen würde: Die Widgets möglichst direkt auf den ersten Bildschirm legen, damit man sie schnell erreicht.

Hat man sich einmal auf zu erfassende Kategorien festgelegt, ist nicht nur die Erfassung sehr einfach, auch nachträgliche Änderungen sind leicht erledigt. Jeder erfasste Zeitblock wird in der Tagesübersicht einzeln angezeigt und kann editiert werden. Das ist besonders zu Anfang wichtig, weil es etwas dauert, bis das Starten und Beenden der Zeiterfassung in Fleisch und Blut übergeht. Mir ist es einige Male passiert, dass ich morgens das Starten der Erfassung vergessen habe oder abends bei noch laufender Zeiterfassung schlafen gegangen bin – kein Problem, bei der nachträglichen Korrektur muss man dann aber daran denken, auch das Datum korrigieren. Die erfassten Daten werden in der App schön anschaulich als Kreis- und Balkendiagramme über frei definierbare Zeiträume aufbereitet, man kann aber auch die Rohdaten als Tabelle herunterladen und in einer beliebigen Tabellenkalkulation weiterverarbeiten.

Was ist meine Arbeitszeit?

Eine größere Herausforderung stellt die Frage dar, was eigentlich Arbeit und nicht nur »überobligatorisches Engagement« ist. Alles, was unmittelbar mit meiner Arbeit in der Schule zu tun hat, ist sicher Arbeit. Die Lektüre von fachdidaktischen Zeitschriften? Vermutlich, immerhin bin ich zur Fortbildung verpflichtet. Die Lektüre einer Computerzeitschrift? Vielleicht eher nicht, obwohl ich andererseits an der Schule viele PC-bezogene Aufgaben übernehme. Die Lektüre englischer Romane? Wohl kaum, obwohl ich ohne diese Lesefrüchte keine Klausur- und Abiturtexte basteln könnte.

Die größte Schwierigkeit besteht ironischerweise in der Festlegung der Soll-Arbeitszeit. Eigentlich ist die Sache ja klar: 41 Stunden Wochenarbeitszeit im Jahresschnitt, 30 Tage Ferien und die gesetzlichen Feiertage. Klar ist auch: Während der Schulzeit wird mehr gearbeitet, das kann bzw. muss dann in den Ferien abgefeiert werden. Schwierig wird es, wenn man z.B. krank ist: selbstverständlich gehen Krankheitstage wie Arbeitstage in die Zählung der Ist-Stunden ein – aber mit welchem Wert? Mit 8,x Stunden Durchschnittsarbeitszeit? Oder wird differenziert nach Krankheitstagen in den Ferien und in der Schulzeit? Wird gerechnet, was man üblicherweise an diesem Tag geleistet hätte? Auch Feiertage in Teilzeit können ein kompliziertes Thema werden: Werden sie nur als Arbeitszeit gezählt, wenn man an dem Tag normalerweise Schule gehabt hätte? Aber was ist z.B. mit Vorbereitungen, die man auch an unterrichtsfreien Tagen leistet? Werden sie im Verhältnis der Teilzeit mitgenommen?

Realistisch ist vermutlich nur das Nachhalten einer Jahresarbeitszeit bzw. das Operieren mit einem Jahresarbeitszeitkonto. Bei 41 Stunden Wochenarbeitszeit ergeben sich für Baden-Württemberg ca 1.804 Stunden Jahresarbeitszeit, haben Mußmann/Rackles für die Friederich-Ebert-Stiftung errechnet (S. 13). Für NRW dürfte der Wert sehr ähnlich sein, auch wenn die Zahl der Feiertage vermutlich variiert. Für Teilzeitkräfte muss dieser Wert proportional niedriger angesetzt werden. Das Stunden-Soll auf Jahresbasis stellt dann diese Jahresarbeitszeit dar; wann die Arbeit abgeleistet wird, auf welchen Wochentag ein Feiertag fällt, spielt dann keine Rolle mehr. Bei Krankheit sind 8 Stunden 12 Minuten auf das Arbeitszeitkonto zu rechnen, auch hier: bei Teilzeit proportional weniger.

Erkenntnisse?

Für echte Erkenntnisse ist es bei mir noch zu früh. Ich habe erst Anfang 2025 mit der konsequenten Erfassung begonnen. Ende Februar steht der Zähler auf 295 Stunden 28 Minuten. Wenn ich 1.804 Stunden gleichmäßig auf 365 Tage verteile, dann berechne, was ich in den 59 Tagen des Januar und Februar hätte arbeiten sollen und den Teilzeitfaktor 23/25,5 anwende, komme ich auf ein Soll von nur 263 Stunden, bin also ca. 30 Stunden im Plus. Allerdings hatte ich noch kaum echten Urlaub – der größte Teil des Weihnachtsurlaubs (nicht: Ferien) fiel in den Dezember, Oster- und Sommerferien stehen erst noch bevor. Ob ich bis dahin genügend vorgearbeitet haben werde, wird sich noch zeigen müssen. Was ich jetzt schon sehe, aber das ist eher ein Spezialproblem, das durch meine Teil-Freistellung für den Personalrat entsteht: Ich arbeite im Verhältnis zu wenig für den Personalrat, aber erheblich zu viel für die Schule.

Fazit

Auf die Dauer wird die Arbeitszeiterfassung so oder so kommen. Natürlich kann man einfach abwarten, was das MSB sich für uns ausdenkt. Es lohnt sich aber schon jetzt, in Eigenregie zu erfassen. Man gewinnt ein Gefühl für die eigene Arbeitszeit. Man erkennt, ob man über oder unter der Sollarbeitszeit liegt und ob man mit einer Arbeitszeiterfassung evt. mehr zu verlieren als zu gewinnen hätte (Spoiler: man kann fast nur gewinnen). Man erkennt evt. auch, was große Zeitfresser sind und kann diese eliminieren oder wenigstens zurechtstutzen. Und natürlich: Man kann sich schon einmal Gedanken machen, welche Aufgaben evt. »überobligatorisches Engagement« und daher entbehrlich sind.

Ausblick

Wie gesagt: Die Arbeitszeiterfassung wird kommen, und zwar vermutlich eher früher als später. Nicht, weil sie gesetzlich vorgeschrieben ist oder weil es »the right thing to do« ist, sondern weil das Urteil des Niedersächsischen OVG ein Präzedenzfall sein könnte, der den Weg zu kostspieligen Besoldungs-Nachforderungen auf der Basis eigeninitiativer Arbeitszeiterfassung ebnet. Daran kann der Dienstherr kein Interesse haben. Mit einer vom Dienstherrn verantworteter Arbeitszeiterfassung muss notwendigerweise auch eine präzise Definition unserer Dienstpflichten einhergehen. Es muss im Voraus klar sein, welches Maß an (zeitlichem) Engagement »obligatorisch« ist und was »überobligatorisch«, also entbehrlich ist. Damit wäre dann auch eine lang stehende gewerkschaftliche Forderung erfüllt, nämlich die klare Begrenzung der Aufgaben auf das notwendige Maß und ein wirksamer Mechanismus der gewährleistet, dass diese in der gesetzlich geregelten Arbeitszeit erledigt werden können. Es ist absehbar, dass der Dienstherr in diesem Zusammenhang viele Dienstpflichten streichen oder drastisch reduzieren wird – vermutlich aber nicht gerade das, was uns am meisten nervt, sondern dass, was er am ehesten für entbehrlich hält. Das ist zwar schade, aber immerhin gewinnen wir so Freizeit, in der wir uns selbst gewählten Tätigkeiten widmen können, wer möchte (aber wirklich nur der*die), kann sich dann sicher auch dem »überobligatorischen Engagement« widmen.

Bilder:

Screenshot von Simple Time Tracker;
übrige Bilder KI-generiert durch Google Gemini, Ja, die Woche bei Google hat erstaunlich viele Tage.

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