»Geachte Heer M.«, man kann es nicht anders sagen, war in den Niederlanden ein ziemlicher Bestseller, echte Mainstream-Literatur. Aber: so gerne man natürlich Geheimtipps liest und weiterverbreitet, sich so als besonderer Kenner exquisiter literarischer Nischengewächse hervortut – es hat ja seinen Grund, dass dieses Buch so gut angekommen ist. Und so las ich es mit großem Vergnügen, auch wenn es mir nicht den Gefallen tat, zum Ausweis besonderen literarischen Spürsinns zu dienen.
Die Handlung ist sind eigentlich zwei Handlungen, die nur lose miteinander verknüpft scheinen. Da wäre zum einen eine Gruppe von SchülerInnen, geschätzt in den 80erjahren, die miteinander Zeit verbringen und mehr oder weniger geschmackvolle Streiche spielen und sich natürlich auch in verschiedenen Konstellationen ineinander verlieben. Eins der Mädchen ist für kurze Zeit Geliebte ihres Geschichtslehrers; für deutlich längere Zeit ist sie sein Stalkingopfer. Bis er eines Tages mitten in den Weihnachtsferien vor dem eingeschneiten Ferienhaus auftaucht, in dem sie mit ihrem neuen Freund tut was man halt so tut zu zweit. Das Auto des Lehrers springt nicht mehr an, Freund und Lehrer brechen zu Fuß in die nächste Ortschaft auf, um einen Automechaniker zu suchen, doch auf diesem Trip »verschwindet« der Lehrer einfach so. War es Mord? Selbstmord? Ein Unfall??
Auf die Antwort muss die geneigte LeserIn lange warten. Auf die Frage übrigens auch, denn die Ereignisse um die Jugendgruppe werden erst nach und nach und sehr widerwillig geoffenbart.
Und dann gbt es ja noch den anderen Handlungsstrang, der mehr oder weniger in der Gegenwart verortet ist. Hier dreht sich alles um einen herrlich misanthropen, eitlen, von Selbstzweifeln zerfressenen alternden Schriftsteller. Sein Ruhm gründet auf seine freie Bearbeitung der Ereignisse um den verschollenen Lehrer. Ein Buch, aus dem später übrigens ein noch freier bearbeiteter Film gemacht wurde. Das alles findet der Ich-Erzähler dieses Strangs nicht so gut. nach und nach wird deutlich, dass er in die Ereignisse der 80erjahre irgendwie involviert war – aber in welcher Rolle? Auch auf diese Antwort muss die LeserIn lange warten.
Auf Action muss übrigens auch sehr lange gewartet werden. Es dauert an die 100 Seiten, bis der alternde Schriftsteller auf einer Lesung einer tantigen Leserin mal so richtig die Meinung geigt. Davor und auch lange danach passiert wenig wirklich Aufregendes.
Lesenswert macht das Buch vor allem sein feiner Humor. Die bitterböse Darstellung des Schriftstellers riecht nach Selbstironie des Autors, jedenfalls merkt man dass er weiß, worüber er schreibt. Und für alle, denen Ironie als alleiniger Leseanreiz nicht genügt: Es gibt ja auch noch einen echten Mord aufzuklären. Der aber bleibt garantiert überraschend, bis fast zum Schluss.