Mendel Singer lebt die verdichtete und verallgemeinerte Version eines typischen Lebens osteuropäischer Jüd:innen um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Verdichtung bedeutet: Es passiert ganz schön viel, nämlich: Ein Sohn behindert (spricht nicht), ein Sohn weg (Armee) ein weiterer Sohn weg (Flucht vor Wehrdienst). Tochter promiskuitiv, dann Emigration in die USA (geflüchteter Sohn inzwischen dort), Sohn dann tot, Tochter in Nervenklinik. Dann noch ein Happy Ending, das hier nicht gespoilert werden soll.

Trotz der verdichteten Handlung ist Mendels Leben ein sehr ruhiges und langsames. Er ist nicht einfach der Fels in der Brandung, der mit allen Schicksalsschlägen schon irgendwie umgehen kann, sondern er ist der unbewegliche Maßstab, an dem sich die Geschwindigkeit des vorbeiziehenden Lebens seiner Familie erst bemessen lässt. Das liest sich recht angenehm und es lässt auch Raum, sich auf die detaillierte Beschreibung der weitgehend verloren gegangenen Kultur des Ostjudentums zu konzentrieren und sich an ihr zu erfreuen.

Mendel ist aber natürlich nicht nur insofern ein verdichteter Typ, als dass er das Ostjudentum der Jahrhundertwende darstellt, er ist außerdem der titelgebende Hiob des gleichnamigen biblischen Buches. Roth stellt sich und seinen Leser:innen die Frage nach dem Sinn des unverschuldeten menschlichen Leids – und kommt dabei zwar nicht unbedingt zu Ergebnissen, aber jedenfalls zu einer vom biblischen Original merklich abweichenden Betrachtung, die eigentlich auch als Kommentar und Anfrage an den biblischen Text gelesen werden kann.

Schön geschrieben, erkenntnisreich in kulturgeschichtlicher und theologischer Sicht – dieses Buch ist eine Empfehlung.